Wiederholung: SID-Interview mit Colin Bell: "Ich hatte mit Deutschland gerechnet"

Colin Bell führte den 1. FFC Frankfurt als Coach zum Triumph in der Champions League der Frauen, seit 2019 trainiert der Ex-Mainz-Profi Deutschlands WM-Gruppengegner Südkorea. Im SID-Interview spricht der Engländer über die Endrunde, das besondere Duell mit dem DFB-Team und sein Leben in Asien.

SID: "Colin Bell, seit 2019 sind Sie südkoreanischer Frauen-Nationaltrainer. Mit welchen Erwartungen gehen Sie die WM mit Südkorea nach Platz zwei beim Asien-Cup an?"

Colin Bell (Fußball-Nationaltrainer Südkorea): "Das Finale des Asien-Cups (2:3 gegen China, d. Red.) werde ich ein Leben lang nicht vergessen. Wir waren die klar bessere Mannschaft. Unsere Nerven haben uns einen Streich gespielt, die Spielerinnen sind solche Situationen noch nicht so gewöhnt, daran arbeiten wir. Die Erwartung hier ist nun, dass es ein Erfolg ist, wenn wir die Gruppe überstehen und ins WM-Achtelfinale einziehen."

SID: "Wo steht Südkorea im internationalen Vergleich?"

Bell: "Was große Nationen uns voraushaben, ist die große Kaderstärke. Wir haben nicht so viele Spielerinnen der höchsten internationalen Klasse. In ganz Südkorea gibt es erst 1400 registrierte Spielerinnen. In Japan sind es im Vergleich 800.000. Wenn wir alle unsere Top-Spielerinnen an Bord haben, können wir es mit jedem Gegner aufnehmen. Aber in der Breite fehlt es noch. Das liegt unter anderem am System."

SID: "Können Sie das erläutern?"

Bell: "Es ist alles in den Schulen und Universitäten basiert. Nach dem Studium sind die Spielerinnen 23, 24 Jahre alt, wenn sie in den Erwachsenenfußball kommen. In Deutschland debütieren Spielerinnen mit 16 in der Bundesliga. Deshalb ist unser Altersschnitt sehr hoch im Nationalteam. Und die südkoreanische WK League ist nicht unter dem Dach des Verbandes, das ist nicht immer im Einklang. Es gibt nur acht Vereine, es gibt keinen Abstieg, es fehlt der regelmäßige Wettbewerb unter Druck."

SID: "Welchen Einfluss hat ihre lange Zeit in Deutschland auf ihre Arbeit in Südkorea?"

Bell: "Natürlich bin ich Engländer, aber mein Fußball-Leben war überwiegend in Deutschland. Über die Jahre habe ich mir vieles abgeschaut. Diese Selbstverständlichkeit des Gewinnens, die die Deutschen immer verkörpert haben, diese Erwartung, dass man immer eine Chance hat - das versuche ich hier vorzuleben. Für mich ist Erfolg stark damit verbunden, wie akribisch ich mich vorbereite. So gehen wir dieses Turnier an und da ist mein Hauptfokus auf unserem ersten Spiel gegen Kolumbien."

SID: "Was haben Sie bei der Auslosung gedacht, als Sie in der deutschen Gruppe gelandet sind?"

Bell: "Ich hatte innerlich damit gerechnet, während meiner Zeit in Irland haben wir mit der U17 auch zweimal Deutschland gezogen. Natürlich sind wir Außenseiter und Deutschland Favorit in dieser Gruppe. Aber es ist eine unbequeme Gruppe. Wir müssen sehen, dass wir unsere schwierigen Hausaufgaben gegen Kolumbien und Marokko erledigen. Deutschland wird auch zum Favoritenkreis gehören bei der WM nach der sehr guten EURO. Ich kenne sehr viele Spielerinnen, ich kenne Martina sehr gut."

SID: "Wie bewerten Sie die Entwicklung des deutschen Teams? Die vergangene WM endete im Viertelfinale..."

Bell: "Die Entwicklung ist sehr positiv. Einige junge Spielerinnen sind durchgekommen. Die Balance im Team ist gut, es gibt Spielerinnen wie Lina Magull, die aus dem Nichts etwas machen können. Svenja Huth ist in den letzten Jahren zur Weltklassespielerin geworden, Alex Popp ist immer gefährlich, wahrscheinlich die beste Kopfballspielerin im Frauenbereich. Eine meine Lieblingsspielerinnen ist Lena Oberdorf. Weil sie voll zur Sache geht, sie ist kompromisslos. Wie bei jeder Mannschaft kann man auch Bereiche analysieren, wie man gegen sie erfolgreich sein kann."

SID: "Und wie sehen Sie Ihren Auftaktgegner?"

Bell: "Kolumbien hat drei, vier sehr starke und robuste Spielerinnen. Mayra Ramirez ist eine Vollblutstürmerin. Linda Caicedo ist eine sehr gute junge Spielerin auf dem Flügel, sie ist pfeilschnell, dribbelstark. Sie sind auch gefährlich bei Standards. Das wird unangenehm für alle in der Gruppe. Aber wir wollen eigentlich der Stolperstein sein."

SID: "Und Marokko?"

Bell: "Marokko ist taktisch gut geschult. Sie haben in Reynald Pedros einen ehemaligen Champions-League-Sieger als Trainer, das merkt man an seiner Handschrift. Sie wollen manches spielerischer lösen, wo Kolumbien mehr über das Körperliche kommt."

SID: "Zurück zu Ihnen - Sie haben ihren Vertrag bis Ende 2024 verlängert, fühlen Sie sich so wohl in der neuen Heimat?"

Bell: "Vor einigen Monaten dachte ich, dass der Weg zurück nach Deutschland geht. Ich hatte ein sehr gutes Angebot als Technischer Direktor mit Vierjahresvertrag bei einem renommierten Verein. Als ich an Weihnachten zu Hause war in Deutschland, habe ich mich entschieden, in Südkorea zu bleiben. Das Land ist für mich im Moment perfekt, super nette Menschen, sehr sicher. Ich kann mir gut vorstellen, länger zu bleiben."

SID: "Hatten Sie bereits Kontakt mit Männer-Coach Jürgen Klinsmann?"

Bell: "Zuletzt haben wir uns in Paju beim Lehrgang der Männer gesehen, ich habe Andi Köpke, Andi Herzog gesprochen. Jürgen ist sehr umgänglich. Ich bin optimistisch, dass die Mannschaft den Klinsmann-Stil annehmen wird."

SID: "Konnten Sie ihm Tipps geben?"

Bell: "Ein Beispiel: Hier ist die Hierarchie sehr auf das Alter ausgelegt. Das gibt es auch im Fußball - dass ein junger Spieler oder eine junge Spielerin während des Spiels nichts Kritisches sagt, weil sie denken, dass sei nicht erlaubt. Das muss Jürgen auch in den Griff bekommen. Ich versuche jungen Spielerinnen mit auf den Weg zu geben: Wir müssen unsere eigene Fußballkultur als Mannschaft entwickeln. Das ist einer der wesentliche Punkte für einen ausländischen Trainer."

SID jl er

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