Die Crux des mondgebräunten Königs: Warum Vingegaard Pogacar braucht

Jonas Vingegaard ist nun zweimaliger Tour-Sieger und hat mit Tadej Pogacar gleichgezogen. Das Duell könnte den Radsport auf viele Jahre prägen.

Paris (SID) Jonas Vingegaard eskalierte völlig. Zumindest nach seinen Maßstäben. Spontan ließ der alte und neue Sieger der Tour de France Pizzen ans Teamfahrzeug liefern, bevor er sich mit höflichem Lächeln von den Champs-Elysees verabschiedete. Unspektakulär also fiel die Party nach dem Ende des so spektakulären Tour-Duells mit Tadej Pogacar aus. Und dieses - sorry, liebe Konkurrenz - soll laut Vingegaard auf Jahre hinweg auch ein Zweikampf bleiben.

"Es war ein toller Fight mit einem tollen Typen. Hoffentlich werden wird noch viele dieser Auseinandersetzungen austragen", sagte Vingegaard. Warum aber der Däne und sein slowenischer Rivale so viel besser sind als alle anderen? "Keine Ahnung, wir trainieren ja alle so ziemlich gleich", sagte Vingegaard bei L'Equipe, "es muss genetisch sein, etwas, mit dem Tadej und ich geboren sind."

7:29 Minuten betrug nach drei Wochen der Abstand zwischen Vingegaard und Pogacar, im Radsport eine Welt. Doch weil diese Distanz praktisch komplett aus einem Wunder-Zeitfahren des einen und einem einmaligen Einbruch des anderen resultierte, darf man beide nahezu auf einem Niveau verorten. "Tadej ist der beste Rennfahrer der Welt", sagte Vingegaard sogar.

Im Hinblick auf das Gesamtpaket dürfte Vingegaard damit einerseits nicht falsch liegen, schließlich reüssiert Pogacar regelmäßig bei den schwersten Klassikern der Welt. Andererseits weiß Vingegaard aber auch: Ohne einen Pogacar auf ähnlichem Niveau würde er noch skeptischer beäugt werden als ohnehin schon.

Der schmächtige "Champion mit dem mondgebräunten Gesicht, der durchsichtige König" (Gazzetta dello Sport) stößt vielerorts auf Vorbehalte. In Vingegaards Heimat erzählen sie dessen Geschichte zwar so, als sei er nicht aus dem Fischerdorf Hillersläv, sondern den Slums Manilas zu Weltruhm aufgestiegen. "Vingegaard zeigt, dass es möglich ist, selbst hoffnungsloseste Hoffnungen zu verwirklichen", schrieb Jyllands-Posten am Montag.

International gilt er hingegen als "Roboter" (AS), als "perfekte Maschine" (Gazzetta dello Sport), die "Fans und Rivalen mit kaltem Schaudern zurücklässt" (Figaro). Und der Guardian, der einst den ähnlich angelegten Chris Froome beklatschte, ohrfeigte: "Traurigerweise fehlen Vingegaard die Eigenschaften, die der Radsport am meisten braucht: Wärme, Charme, Menschlichkeit."

Auch Pogacars frühe Toursiege hatten für Stirnrunzeln gesorgt. Aber der Slowene wirkt im Vergleich zu Vingegaard, nun ja: menschlich, zeigt sportliche Schwächen, Emotionen. Der Däne derweil, ohnehin ein eher ätherischer Typ, leistet geradezu Außerirdisches. Vingegaards furchterregende Daten am Schlussanstieg des Bergzeitfahrens am 18. Juli, als er Pogacar 1:38 Minuten abnahm: 6,1 km mit 6,8 Prozent Steigung in einem 26,8-km/h-Schnitt bei knapp 7,4 Watt pro Kilo Körpergewicht.

Klar, dass klarer als bei Pogacar das böse D-Wort zur Sprache kommt. "Ich würde nichts nehmen, was ich nicht meiner zweijährigen Tochter geben würde", sagt Vingegaard. Alles Genetik also? Man will ihm glauben. Weil andernfalls der Radsport ziemlich am Ende wäre.

Das Duell wird sich erst 2024 fortsetzen. Pogacar fährt womöglich die WM, der Däne die Vuelta. Beide aber treffen dabei jeweils auf Belgiens Wunderkind Remco Evenepoel. Der Weltmeister wiederum will im kommenden Jahr sein Tour-Debüt feiern.

Vielleicht also wird es ein Triell um die Weltherrschaft: Vingegaard (26), Pogacar (24) und Evenepoel (23) - der Radsport könnte vor einer goldenen Ära stehen. Umso verheerender wäre es, wenn die Skeptiker recht behielten.

SID cl lk

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